Weiße Weihnachten

Schüler JosephDatum: Sonntag, der 25.12.2016
Mittagsposition: 10° 47,6′ N; 076° 03,0′ W
Etmal: 174 sm
Wetter: Lufttemperatur: 28,5°C; Wassertemperatur: 28,5°C; Wind: ENE7
Autor: Joe

Windstärke 8!

Mir blies der Wind in die Backen, als würde ich meinen Kopf aus dem Fenster eines Sportwagens halten, der mit Vollgas über die Autobahn düst. Man könnte glauben, dass die sechs Meter hohen Wellen jederzeit das gesamte Achterdeck überspülen könnten. Die Wellen schlugen nach und nach über das Schanzkleid und hinterließen einen weißen Teppich schäumenden Wassers auf dem Hauptdeck, der teilweise bis zur Hüfte reichte.

Es gab bei uns bisher noch nie ein vergleichbares Szenario auf See, mit Ausnahme des Auslaufens nach Falmouth, nur mit dem Unterschied, dass es diesmal nicht in Strömen regnete und die Seekrankheit keinem von uns mehr zu schaffen machte. Außerdem schien die Sonne, es war warm und es kam sogar ein Publikum von schnellen Frühstückern, welche das Spektakel ebenfalls betrachten wollten. Wir waren acht Knoten schnell (ziemlich schnell für Thor-Verhältnisse) und liefen unter Sturnbesegelung. Der Rudergänger hatte viel zu kurbeln, da das Schiff von den Wellen von links nach rechts versetzt wurde.

Die See wurde immer unruhiger, ebenso Detlef. Jedes Mal wenn das Deck erneut in Weiß getränkt war, wurde er angespannter. Die Dusche, die Jojo im Ausguck erwischte, gab dann den Ausschlag für eine Entscheidung. Daniel wurde Bescheid gegeben, die Maschine klar zu machen. Das Motoren sollte das Rudern erleichtern und verhindern, dass eine große Welle uns querstellte. Zwar waren einige von uns enttäuscht, dass es dann nicht mehr so stark wackelte, aber Sicherheit war jetzt oberstes Gebot. Es wurden zwei Ausgucke eingesetzt, um zu überprüfen, dass alle Luken zublieben.

Das absolute Highlight unserer Wache bot sich relativ am Ende: Zwei außergewöhnlich hohe Wellen brachen von einer Seite über das Schanzkleid mit und rissen eines unserer Sonnensegel entzwei. Kira erschrak im Ausguck, weil die Wassermassen schwer genug waren, um über die am Segel befestigten Tampen die Reling zu verbiegen. Geschwind bargen wir das zweite Sonnensegel, räumten die Bierbänke aufs Deckshaus und sammelten die Überreste unseres nun kaputten Sonnensegels auf. An Deck bestand nun Gurtpflicht.

Als die Wachübergabe gerade erledigt war, kamen nochmal alle KuSis der letzten Wache 4 mit angezogenem Gurt aufs Achterdeck. Ich musste offiziell zwar keine Wache mehr gehen, aber Spitzen bergen kann eine Wache schlecht alleine machen. Meiner Wache wurde das Großtopp und Wache 1 die Bram und die Skysails zugeteilt. „Alles besetzen und klarmachen zum Bergen des Großtopps!“, rief unsere Wachführerin Ruth. Manuela sollte das Fall fieren. Im Grunde keine schwere Sache, vorausgesetzt, du wirst nicht komplett überspült. Tapfer hielt sich Manuela an dem Fall fest, während sich ein Wasserschwall über sie ergoss. Abgesehen davon, dass sie gerade eine ungewollte Salzwasserdusche hinter sich hatte, ging es ihr gut. Als dann die jeweiligen Tampen richtig durchgeholt waren und niemand mehr von einer Welle überrascht wurde, schafften wir es auch endlich, das Segel endgültig zu bergen.

Eine spontane Planänderung vertagte dann das Weihnachtsfest auf den morgigen Tag. Bei diesem Wellengang wäre kein Festessen möglich gewesen. Dies bedeutete, dass wir nun einen Tag Freizeit, ohne Schule, Freiarbeit und Reinschiff hatten. Unter Deck war es nicht auszuhalten, also schnappte ich mir meine Isomatte und legte mich mit einem Buch neben den Ruderkasten. Fast den ganzen Tag verbrachte ich hier, dösend, lesend und redend. Die einzige Unterbrechung lieferte der Christstollen zum Kaffee, den ich genüsslich verschlang.

Bisher hat sich die Vorweihnachtszeit als nicht sehr weihnachtlich herausgestellt, was vermutlich daran lag, dass so ziemlich alles, was Weihnachten zuhause ausmacht, fehlte. Ich weiß zwar nicht, wie es bei euch ist, aber bei mir daheim schneit es immer und es gibt weiße Weihnachten.

Dies war vermutlich der einzige Punkt, den ich auf der Thor wiedergefunden habe. Zwar nicht in Form von Schnee, aber in der von großen, weißschäumenden Wellen aufgewühlten See.

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