Mein erster Tag als Wachführerin

Schülerin Hannah

von Hannah

Seit dem gestrigen Beginn der zweiten Schiffsübergabe bin ich Wachführerin der Wache 3 zusammen mit Jordana, meinem Copi. Da heute Sonntag ist (was bedeutet, das außer Sanitär kein Reinschiff stattfindet) und man in Wache 3 auch an normalen Tagen die meiste freie Zeit hat, dachte ich zuerst, es würde ein ganz entspannter Tag werden. So war es aber natürlich nicht.

Mein Tag begann um halb fünf und ich musste die Wache ganz alleine leiten, weil Jordana Brotbackschaft hatte. Die Wache zu koordinieren ist mir nicht schwer gefallen, es gab nur ein paar ungewohnte Situationen. Pünktlich zur Morgendämmerung kamen die Steuerleute Eva und Markus sowie unser Schülerkapitän David zu uns aufs Achterdeck. Mit Sextanten schossen sie die Sterne und später auch die Sonne. Eva und Markus waren dann den ganzen Tag damit beschäftigt, unsere Positionen zu berechnen. An normalen Tagen muss zur jeder vollen Stunde das Wetter bestimmt und unsere Position vom GPS abgelesen und in die Seekarte eingetragen werden. Als Ersatz zum Positionablesen müssen wir selbstständig herausfinden, wie viele Knoten wir fahren. Da das GPS ausgeschaltet ist, können wir auch unsere aktuelle Geschwindigkeit nicht mehr ablesen. Seit gestern müssen wir dies mit der Relingslogge machen. Dafür benötigt man zwei Personen, einer steht auf dem Vorschiff und der andere auf einem festgelegtem Punkt vom Achterdeck. Vorne wird ein bisschen Biomüll ins Meer geworfen. In genau diesem Moment muss der Hintere anfangen, die Zeit zu stoppen und erst dann aufhören, wenn das Gemüse oder die Bananenschale an ihm vorbeischwimmt. Wir wissen, dass der Abstand zwischen beiden Schülern 36m beträgt und zusammen mit der Sekundenzahl und einer Formel können die Knoten, also die Geschwindigkeit, bestimmt werden. Alle waren dann gegen 8 Uhr sehr hungrig, freuten sich auf die Wachübergabe und gingen anschließend zum Sonntagsfrühstück in die Messe.

In der Zeit vor dem Mittagessen hatten wir wirklich nichts zu tun. Die Zeit konnte man nutzen um einen Brief, Blog oder Tagebuch zu schreiben, ein Buch zu lesen oder Schlaf nachzuholen (die Nächte auf der Thor sind einfach immer zu kurz).

Heute gab es endlich die lang ersehnte Stammbackschaft: Christian, Sebastian, Judith und Nele haben uns den ganzen Tag über verwöhnt. Nach dem Essen waren eine Schiffsversammlung und anschließend eine Halse angesetzt. Meine erste Aufgabe bestand darin, das Großsegel von Steuerbord nach Backbord zu bringen. Zu beachten war dabei auch das Großtopsegel. David hatte alles sehr genau, klar und deutlich angesagt. Auf Grund dessen ging die Halse zwar etwas langsam, aber ohne große Probleme über die Bühne. Nach einer kleinen Wach- und Halse-Nachbesprechung hatten wir eigentlich wieder frei bis zum Kaffee. Als die Essensklingel läutete, stürmten alle nach oben. Schon beim Essen des Grießbreis, der extrem lecker war (besonders durch den karamellisierten Zucker und die Schokostreusel obendrauf), merkten einige, dass etwas komisch ist, da die Segel extrem schlackerten.

Kurz nachdem alle außer der Fahrwache wieder unter Deck waren um ihren Beschäftigungen nachzugehen, hörte man ein lautes Klingeln. Der Grund dafür: Wir waren gerade eine Patenthalse gefahren, weil der Wind gedreht hatte. Das bedeutete, wir hatten gehalst, ohne dass es beabsichtigt war, und jetzt standen die Segel falsch. Wir mussten uns nun beeilen, die Segel wieder richtig einzustellen, damit es nicht zu einem Segel- oder Tampenriss kommen würde, was passieren kann, wenn der Wind von der falschen Seite in das Segel drückt. Nach anfänglicher Hektik und chaotischem Gewusel, wusste wenige Minuten später jeder, was zu tun war. Ich gab meiner Wache das zweite Mal an diesem Tag die entsprechenden Kommandos, um das Großsegel zurück nach Steuerbord zu bringen. Als alles erledigt war, hatten wir nicht mehr viel Zeit bis zur Wachübergabe.So sieht man, dass ein Nachmittag meist ganz anders verläuft, als man es anfangs geplant hatte.

Bei der Wache wurde uns zuerst gesagt, wir sollen den Flieger (ein Vorsegel) setzten. Es passte jedoch nicht und wir konnten es 20 Minuten später wieder bergen. Die Astronavileute schossen wieder Sterne, da das nur in der Dämmerung möglich ist. Wir erledigten alle Wachaufgaben gewissenhaft und konnten Abends glücklich und zufrieden in unsere Kojen fallen.

Wachführerin zu sein macht sehr viel Spaß, der Job ist aber auch mit vielen neuen Aufgaben und Herausforderungen versehen.

Hannah

P.S.: Alles Gute nachträglich zum Geburtstag an meine beiden Tanten. Dir, Leoni, wünsche ich auch nur das Beste für das neue Lebensjahr. Lasst euch feiern, ich vermisse euch und hoffe, ihr habt einen schönen Tag.

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