von Laura
„Was ist dein bisher schönstes Erlebnis auf der Reise?“
Das ist eine der Fragen, die am häufigsten gestellt werden. Die ersten Erfahrungen zeigen jedoch, dass man nicht mit „Seekrankheit“ oder „Sturm“ antworten sollte, denn man erhält immer einen befremdeten Blick und man merkt, dass das nicht so wirklich nachvollzogen werden kann.
Also antwortet man stattdessen mit so einfachen Sachen wie „Der Tag, an dem ich das erste Mal mein neues Zuhause gesehen habe“ oder „Die Ankunft in der neuen Welt.“
Wenn ihr euch mit einer dieser beiden Antworten zufrieden geben wollt, dann ist das völlig in Ordnung, solltet ihr aber doch etwas neugieriger sein und wirklich etwas über „Das schönste Erlebnis“ erfahren wollt, dann hört mir genau zu.
Es ist nämlich nicht so einfach, wie es sich im ersten Moment anhört. Man kann nicht einfach seinen Finger auf eine Landkarte legen und sagen:“Hier, hier war mein schönstes Erlebnis der gesamten Reise.“
Nein, man muss ein wenig tiefer gehen, um die sehnsüchtigen Blicke eines jeden Seemanns hinaus auf das Meer verstehen zu können.
Wenn man sich ein Schiff genauer ansieht, würde man als aller Erstes die strikten Abläufe, die Rationierung des Essens und die Müdigkeit auf den Gesichtern der Backschafter sehen.
Eine ganze Weile würde man erst mal nichts anderes wahrnehmen. Ruth sagte nach ungefähr einem Monat zu uns, dass es ab jetzt nicht mehr nur ums Überleben, sondern ums Leben gehen würde.
Es ist tatsächlich so. Man muss sich untereinander kennen lernen und anfangen einander bedingungslos und blind zu vertrauen.
Nach und nach bemerkt man andere Dinge, die außerhalb der strengen Regeln ablaufen und – für Personen, die es nie miterlebt haben wahrscheinlich nicht wahrnehmbar – wie sich eine lose zusammengewürfelte Gruppe über einen langen Zeitraum hinweg zu einer festen und vertrauten Gemeinschaft entwickelt.
Man muss eine lange Zeit hinhören, um das wissende Lächeln in der Frage „Möchtest du ein Glas Saft?“ zu bemerken.
Man muss eine lange Zeit zusehen, um die stumme Freude in den Augen der aufziehenden Wache erblicken zu können.
Und man muss eine lange Zeit auf einem Schiff leben, bevor man die immense Liebe für das Schiff und die Kameraden fühlen kann.
Berichtet ein Seemann also von Seekrankheit und Sturm, so meint er nicht, das er es schön fand sich zu übergeben und 3 Stunden lang von oben bis unten durchnässt zu werden. Er meint damit, dass er in dieser Zeit nie alleine war, sondern immer jemand in seiner Nähe war, um sich um ihn zu kümmern, um neben ihm am Tampen zu stehen, während die Wellen über ihn hereinbrechen und, dass die Mannschaft sich bedingungslos unterstützt.
Egal was passiert, man kann sich immer darauf verlassen, dass jemand da ist, um dich aufzufangen, wenn du fällst.
Wenn ein Seemann also auf die oben genannte Frage mit Seekrankheit antwortet, nicht befremdet sein, sondern versuchen an diesen Worten vorbei zu sehen und die dahinter versteckte Botschaft zu erkennen. Außerdem werden unsere Eltern zum Teil wahrscheinlich während der Pfingstreise selbst bald die Erfahrung machen und uns mit sehnsüchtigem Blick hinauf aufs Meer wiedersehen.
In diesem Sinne wünsche ich meiner Mama alles Liebe zum Geburtstag.