Kubanische Mentalität

LucieRobin

Datum: 13.02.2019
Ort: Havanna, Kuba
Autoren: Lucie & Robin

Lieber Kai,

wir konnten leider keinen Blog schreiben, weil das Hotelzimmer durch den Regen überflutet ist. Das Problem scheint im Hotel schon bekannt zu sein, da wir einfach ein neues Zimmer bekommen haben. Daher haben wir jetzt einen Blog inspiriert von der kubanischen Mentalität geschrieben. Nämlich nach der Devise: Erst arbeiten und sich dann Zeit nehmen, um im Schaukelstuhl auf der Veranda zu sitzen und mit einem Kaffee in der Hand die Gedanken schweifen zu lassen.

Um dir eine Idee von unserer momentanen Einstellung zu geben, haben wir einen Lexikonartikel aus unseren Hirnen abgeschrieben. Da jede wissenschaftliche Veröffentlichung natürlich auch ihre Quellen braucht, haben wir ihn mit entsprechenden Erlebnissen belegt.

kubanische Mentalität, die:

Einstellung der Kubaner*innen zu ihren Lebensumständen. Dabei ist klar zwischen Stadt und Land zu unterscheiden.Generell sind die Kubaner*innen durch wenig aus der Ruhe zu bringen.

Paradebeispiel dafür war unser Busfahrer Isbel, der eine geradezu meditative Ausstrahlung hatte und ohne Murren jede Stunde eine Pause für uns machte.

Auf dem Land passiert nicht viel.

Die größte Attraktion ist eine Gruppe Jugendlicher, die unter dem Namen KUS mit dem Fahrrad herumfährt.

Jede Veranda hat Schaukelstühle und es werden viele Zigarren, Rum und Kaffee konsumiert. Die Menschen hier können mit ihrer Landwirtschaft gut für sich sorgen und leben sehr entspannt. Ein extremes Beispiel sind die Tabakbauern im Viñales-Tal. Sie verkaufen Tabak an Tourist*innen und sitzen sonst auch gerne selber mal rauchend auf der Veranda.

Bei dieser Tätigkeit konnte man sie vom Fahrrad aus sehr gut observieren.

Nicht vernachlässigen darf man dabei, dass sie aber auch oft ab sechs Uhr morgens auf dem Feld arbeiten.

Bei der Tabakernte wurden sie zum Beispiel von Lukas, Lucie, Simon und Kai beobachtet und mehr oder weniger hilfreich, dafür aber mit viel Eifer, unterstützt.

Die Ruhe haben sich die Menschen in den Städten auf eine andere Weise bewahrt. Sie sind unglaublich geduldig beim Schlangestehen für ein Brot oder eine Mitfahrgelegenheit. Was vom Staat organisiert wird, ist generell beliebt, weil billig, aber auch nur begrenzt verfügbar.

Um möglichst einheimisch (und überhaupt) nach Havanna zu kommen, musste die Kleingruppe Matanzas sich zum Beispiel zwei Stunden anstellen. Auch beim Warten auf eine Peso-Pizza, Churros oder ähnliches mussten wir uns die kubanische Schlangensteh-Kultur aneignen. Ein „Quién es el último?“ („Wer ist der Letzte?“) ist obligatorisch, Vordrängeln absolut inakzeptabel. Einzige Ausnahme ist das wilde Getümmel, das entsteht, wenn ein Bus ankommt und alle unbedingt einsteigen wollen – dann ist alle Geduld und Rücksicht auf einmal Geschichte.

Auch bei kaufunwilligen Tourist*innen beweisen sie wahre Zähigkeit und geben nicht auf.
Ob einzigartige Souvenirs, Super-Sonder-Angebot in ihrem großartigen Restaurant oder eine wunderschöne Flechtfrisur, die garantiert zwei Wochen halten wird – all diese hervorragenden Investitionsmöglichkeiten seiner Devisen werden einem gerne immer wieder erklärt. Wenn man das Angebot auf Spanisch ablehnt, wird gerne auch das gebrochene Englisch ausgepackt, um einem die Vorteile des Angebots ausführlich darzulegen.

Ihre Freundlichkeit und Gastfreundschaft wird dadurch allerdings nicht eingeschränkt. Auch wenn die Tourist*innen oft primär als Geldquelle gesehen werden, suchen die Kubaner*innen gerne das Gespräch. Kommunikation als wichtiger Teil der Gemeinschaft wird allgemein sehr geschätzt. Auch untereinander wird viel, meist laut und wild gestikulierend, kommuniziert.

Sobald man sich auf Spanisch verständigen kann (was mittlerweile nicht nur bei den Fortgeschrittenen der Fall ist) oder das Gegenüber zumindest etwas Englisch beherrscht, wird gerne viel gefragt, und Fragen genau so gerne beantwortet. Auf diese Weise wurden viele neue Bekanntschaften geknüpft, die man gerade in den Kleingruppen aufgrund der geringen Größe der Städte meist noch öfter traf.

Hilfsbreitschaft, Rücksicht und Solidarität haben in den Moralvorstellungen der kubanischen Bevölkerung einen hohen Stellenwert, sie sind auch in der Verfassung tief verankert.

Rollstuhlrampen, spezielle Restaurants für Alte und Kranke, oder die Hilfe im Wiederaufbau nach dem Tornado in Havanna, die aus dem ganzen Land kommt: Auf andere zu achten und die zu unterstützen, die es nötig haben, ist eine Sache, die gerade vom Staat sehr ernst genommen wird. Auch die KUSis konnten diese Unterstützung oft erfahren: Die Kleingruppe um Paul, die für eine Nacht keine Unterkunft fand und die dann in einer Kirche übernachten konnte. Christoph, der, als er krank war, von seiner Gastmutter in der Casa umsorgt wurde. Und natürlich die unzähligen Male, an denen einer Gruppe orientierungsloser Schüler*innen geduldig der Weg erklärt oder sogar gezeigt wurde.

Eines haben viele Kubaner*innen gemeinsam: Sie würden gerne die Vorteile einer kapitalistischen Struktur genießen und scheinen mittlerweile größtenteils fast gleichgültig gegenüber ihrer Staatsform, die durchaus auch Vorteile für sie bringt.

Dass das System im Wandel ist, und durch immer mehr private Unterkünfte, Restaurants und mittlerweile sogar Geschäfte kapitalistische Züge im kubanischen System erscheinen, wurde von den meisten Einheimischen, die wir darauf ansprachen, nicht negativ gesehen. Dass dadurch und durch die Devisen aus dem Tourismus mehr Geld ins Land kommt, ist willkommen.

Diese Einstellung, die von Tiefenentspannung, Gemeinschaftssinn und Zufriedenheit mit dem, was sie haben geprägt ist, konnten wir Schüler*innen jetzt drei Wochen lang genießen. Wir werden versuchen, uns ein paar Aspekte davon abzuschauen – das übertrifft als Mitbringsel jedes Che-Guevara-T-Shirt.

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