Logbuch vom 15.04.2019

Johannes (Kapitän)Martin

Die Thor Heyerdahl steht heute am Montag, den 15. April 2019 um 2000 Bordzeit (1900 UTC) auf der Position 50° 43' N, 000° 27' E im Englischen Kanal. Wir laufen unter Maschine mit Stützsegeln gegen einen mäßigen NE-Wind mit 5,5 kn in Richtung NE. Gegenüber unserem vor einem halben Jahr aufgestellten Törnplan haben wir etwa einen Tag Verspätung, aber verglichen mit den möglichen Wetterszenarien der letzten Tage kommen wir gut voran und sind daher insgesamt zufrieden. Alle an Bord sind gesund und wohlauf.

Die letzten Tage könnte man als turbulent bezeichnen. Nachdem wir nach einer anstrengenden Ostatlantik-Etappe zwei Tage später in Falmouth ankamen, war der Aufenthalt in dem westenglischen Städtchen mit großer Seglergeschichte nur knapp bemessen. Bereits Freitag morgen bekamen wir kurzfristig einen Termin zum Diesel bunkern zugewiesen, den wir gern und dankbar annahmen, da für Freitag Abend und Samstag für den westlichen Kanal auffrischende E-Winde vorhergesagt wurden. So konnten wir bereits mittags aufbrechen und 10 Stunden gegenüber der vorherigen Planung sparen.

Aber bereits Samstag morgen war die Euphorie verflogen, denn wir hatten einen Schüler mit einer an sich harmlos aussehenden Verletzung, die sich über Nacht ungünstig entwickelt hatte und dadurch eine ärztliche Behandlung in einem Krankenhaus erforderte. Da wir in diesem Moment etwa 20 sm von Land entfernt waren und nur langsam vorankamen, forderten wir die Hilfe der englischen Coastguard an, die kurzerhand einen Helikopter schickte. In einer etwa halbstündigen Aktion wurde ein Arzt auf unser Schiff herabgelassen, unser erkrankter Schüler kurz untersucht und dann zusammen mit einem Mitglied des Segelstamms in ein lokales Krankenhaus ausgeflogen.

Die Thor Heyerdahl lief unterdessen den Hafen von Portland an, um dort den Befund abzuwarten. Sonntag morgen entschieden wir, auf Grund der Zeitknappheit schon weiterzulaufen, während der Schüler und ein begleitendes Stammbesatzungsmitglied noch eine zweite Nacht im Krankenhaus blieben. Gleichzeitig wurde bereits ein weiterer Kurzstopp in New Haven geplant, um beide im Falle der erfolgreichen Behandlung wieder an Bord zu nehmen. So geschah es dann auch: Heute nachmittag drei Stunden vor Plan ließen wir vor New Haven den Anker fallen und beide kamen zu unserer großen Freude wohlbehalten und für "seetauglich" befunden wieder an Bord.

Auf der Thor Heyerdahl wurde parallel zu diesen Aktivitäten die letzte Schiffsübergabe an die Schüler vorbereitet und heute begonnen. Pünktlich um 1430 wurde das Schiff für die erste Phase "Traineeship" in die Hände des gewählten Schülerstamms gelegt, wobei in dieser Traineeship-Phase noch die Ausbildung "on the job" im Vordergrund steht, bevor dann in der zweiten Phase, der eigentlichen "Übergabe", die Schüler selbstständig das Schiff fahren werden. Dass wir mit Beginn des Traineeship "alles auf null" stellen, zeigte sich auch daran, dass wir 10 Minuten später den 000°-Meridian überfuhren und uns seitdem wieder auf der östlichen Erdhalbkugel befinden. Weitere 30 Minuten später hatte der Schülerstamm bereits die Gelegenheit, sein erstes Ankermanöver vor New Haven zu fahren.

Es ist anzunehmen, dass uns auch auf dem weiteren Weg nach Kiel nicht langweilig wird. Es sind bis dorthin noch 455 sm. Wir tun alles dafür, unsere derzeitige Verspätung bis Kiel hereinzufahren.

Johannes Schiller, Kapitän, und Dr. Martin Goerke, Projektleiter an Bord

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