Topplicht gleich Toppsicht?

Lena

Datum: 27.11.2019
Mittagsposition: 18°55,5‘ N, 024° 08,2‘W
Etmal: 120 sm
Wetter: Lufttemperatur: 23,5 °C, Wassertemperatur: 24,5°C Wind: NE 3-4
Autorin: Lena

Viele Leute denken vielleicht, dass mein Leben als Topplicht ziemlich öde und wenig abwechslungsreich ist, schließlich sitze ich ja nur den ganzen lieben langen Tag auf dem Besanmast rum und warte darauf, dass doch endlich mal die Maschine gestartet wird. Dann erst kommen ich und mein bester Freund vom Schonermast nämlich zum Einsatz und wir dürfen endlich leuchten. Doch leider muss ich Euch sagen, dass ihr mit Euren Vorurteilen da falsch liegt.

Denn langweilig wird mir hier oben nie, dafür habe ich eine viel zu gute Aussicht! Ihr könnt Euch gar nicht vorstellen, was man alles von hier oben sehen kann. Ich habe nämlich nicht nur die gesamte Thor mit all ihren Schülern darauf im Blick, sondern auch das ganze Meer außenherum. Es gibt nichts, was meinem Auge entkommen könnte…

So entging mir beispielsweise auch nicht, dass sich heute ein Schwarm von bunten Fischen hinter der Thor sammelte. Sie schwammen dort friedlich und unbemerkt von der Schülermeute, die gerade gespannt dem Chemieunterricht folgte. Anhand der goldgelben und blauen Schattierungen im türkisgrünen Wasser erkannte ich sehr schnell, dass es sich bei den Fischen um Goldmakrelen handelte, doch das sollten die Schüler erst später herausfinden.

Gespannt wartete ich darauf, dass doch endlich auch mal einer der winzigen Menschlein unter mir den Schwarm bemerken würde und freute mich, als das schlaue, selbstgebaute Fischwarnsystem ausschlug. Soweit ich dieses von hier oben verstanden habe, fängt eine Flasche, die unten auf dem Achterdeck angebracht ist, an zu knacken, sobald ein Fisch an der an ihr befestigten Angelschnur angebissen hat.

Schnell bewegten sich drei der ameisengroßen Pünktchen nach ganz hinten und starrten gebannt ins Wasser. Seltsamerweise konnte ich beobachten, wie sich einer von ihnen bückte und unerklärlicherweise mehrfach an der Angelschnur zog. Waren die wirklich so blind und konnten den Fisch nicht erkennen?! Und vertrauten sie etwa ihrem Warnsystem nicht?! Mir kam es vor wie eine Ewigkeit, bis der KUSi wieder aufstand und mit einem Nicken den anderen mitteilte, dass es sich wirklich um einen Fisch handelte.

Der Ruf: „Fisch an der Angel“ drang nur Sekunden später an meine Ohren. Überrascht stellte ich fest, dass die Menschenpunkte, die bis eben noch gespannt ihrem Lehrer lauschten, in Rekordgeschwindigkeit aufsprangen, um sich an Backbord über die Reling zu hängen. Die Situation erinnerte mich stak an die Nordsee, nur dass jetzt sämtliche Leute über der Reling hingen, um einen Fisch zu betrachten und nicht, um ihn zu füttern. Mir schien es, als hätte ein kleiner Punkt dort unten alles unter seiner Kontrolle, um das Manöver: „Fisch an Bord bringen“ zu leiten. Wenn ich es recht erkennen konnte, handelte es sich bei dem Menschen um den Bootsmann Fabian. Er schien Ahnung vom Angeln zu haben und leitete die anderen sicher an.

Mit Hilfe eines Keschers holte ein eifriger Schüler letztendlich die Goldmakrele, sie stellten es endlich auch mal fest, an Bord. Danach wandte ich ganz schnell meinen Blick ab, denn wenn ich mir das Folgende angeguckt hätte, hätte ich ganz bestimmt Albträume bekommen. Ich bin da leider nicht ganz so taff, wie die meisten der kleinen Pünktchen, die stehen blieben und gespannt zuschauten.

Erst eine Stunde später traute ich mich wieder, meine Augen zu öffnen und nach dem Fisch zu schauen. Ich entdeckte ihn letztendlich in der Kombüse, wo er gerade filetiert und von einem KUSi auf einer Platte hübsch dekoriert wurde.

Kurz vor sechs hörte ich dann einen kleinen Gesprächsfetzen, der das Wort „Maschine“ enthielt. Ein kleiner Hoffnungsschimmer keimte in mir auf. Vielleicht dürfte ich ja zum Essen meinen Job antreten?! Mein Wunsch wurde wahr. Pünktlich zum Klingeln wurde Olga, unsere Maschine, gestartet und gerade als die Platte mit dem Fisch aus der Kombüse getragen wurde, durchfuhr mich ein Gefühl des Glücks und endlich konnte ich mein Licht anschalten.

So kam es, dass der Fisch von mir einen eigenen Scheinwerfer bekam. Noch den ganzen Abend über konnte ich die neidischen Blicke meines Schonermastfreundes auf mir fühlen. Während er vorne nur eine begrenzte Sicht hatte, konnte ich von meinem Platz hier hinten alles genießen. Ich habe einfach eine Toppsicht von hier…

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