Ein Sturm zieht auf… aus zwei Perspektiven

AleaElive

Datum: Sonntag, 01.03.2020
Mittagsposition: 30° 17,5‘ N; 072° 37,5‘W
Etmal: 136 sm
Wetter: Lufttemperatur: 17° C; Wassertemperatur: 19°C; Wind: NNW 5
Autorinnen: Elive und Alea

Jetzt war es soweit, der erste Böeneinfall! Unsere Besatzung war davon so beeindruckt, dass dazu zwei Blogeinträge entstanden sind. Hier also zwei Sichtweisen eines Tages:

Wie ein Morgen auf der Thor auch so aussehen kann

Drrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrring! – ein schrilles Klingeln reißt uns aus dem Schlaf und wir sind sofort wach: Böeneinfall! Sofort springen wir aus unseren Kojen, reißen Jogginghose und Pulli aus dem Regal und ziehen uns an, so schnell es geht. Dann ab auf den Flur, der voller hin und her eilender Menschen ist. Jeder schnappt sich sein Ölzeug und versucht, es sich trotz der allgemeinen Hektik rasch anzuziehen. Währenddessen hört man von überall „Wahrschau!“ und wird von bereits fertigen Menschen gegen die Flurwand gerempelt, die in Richtung Niedergang laufen. Noch schnell den Gurt vom Haken abnehmen und dann nichts wie ab nach oben!

Draußen ist ein bisschen Weltuntergangsstimmung. Der Wind peitscht über das Deck und Brecher kommen über das Schanzkleid. Der Himmel ist mit Sturmwolken bedeckt und am Horizont ist ein gelblicher Schimmer zu sehen. Über das Hauptdeck schallen Anweisungen zum Bergen des Großsegels. Überall sieht man die grellgelben Kapuzen der Ölzeugjacken im Gewusel.

Oben im Rigg knallen die Segel, die nur geborgen und noch nicht gezeisert sind und die der Wind hin und her peitscht. Um dies zu ändern ziehen wir uns nun unsere Gurte an und klettern zu sechst im Eiltempo hoch ins Rigg. Oben auf der Saling teilen wir uns auf, sodass drei von uns an Steuerbord und drei an Backbord weiter aufentern und wir beginnen können, das Brahmsegel zu zaisern. Dies ist schwieriger, als man denkt, da der Wind in das Segel greift und dieses einen riesigen Bauch hat. Während wir es mit den Zaisern zu bändigen versuchen, pfeift uns der Wind so sehr um die Ohren, dass er uns sogar die Kapuzen vom Kopf reißt und dass wir brüllen müssen, um uns gegenseitig zu verstehen. Durch den Seegang werden wir ordentlich durchgeschaukelt. Natürlich sind wir durch unseren Gurt gesichert, aber trotzdem krallen wir uns instinktiv jedes Mal verkrampft an den Wanten fest, wenn sich das Schiff mit der Welle zur Seite neigt, wobei die Krängung an einem stürmischen Tag bis zu 30 Grad betragen kann. Tief unter uns brodelt das dunkelblaue und mit weißer Gischt vermischte Meer, in dem sich die Wellen krachend brechen und dabei Teppiche von weißem Schaum hinterlassen.

Nachdem unsere Arbeit hoch oben im Rigg getan ist, entern wir gemeinsam ab und werden an Deck sofort von einem Brecher begrüßt, der just in diesem Moment über das Schanzkleid kommt. Triefend kommen wir auf dem Hauptdeck an, wo das Großsegel inzwischen geborgen ist und ebenfalls gerade gezeisert wird. Mittlerweile ist die Böe etwas abgeflaut und in der wieder entspannteren, aber immer noch aufgeregten Stimmung entdecken wir doch tatsächlich einen Regenbogen an Backbord.

Kurze Zeit später kommt das Kommando: „Wer gerade keine Aufgabe mehr hat, kann frühstücken gehen!“ und wir setzen uns mit trockenen Klamotten in die warme Messe, um das von der Backschaft gezauberte Frühstück zu verzehren und die ganze Aufregung zu verdauen. Dabei kann man vielen enthusiastischen Gesichtern lauschen, die begeistert ihre Geschichten vom ersten richtigen Böeneinfall erzählen und sich dabei alle einig sind, dass dieser Morgen ein ganz besonderer war.

Elive

„Brrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrriiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiinnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnggg“

Ein schrilles Klingen riss mich aus meinem traumlosen Schlaf. „Hä?“, mein erster Gedanke. „Es klingelt“, der zweite hilfreiche Gedanke des Tages. Folgend schlussfolgerte ich: „All hands on deck. Deswegen klingelts. Deswegen bin ich wach.“. „Aber wie viel Uhr ist es denn… heute hab ich Unterricht…um 0730 werde ich normalerweise zum Unterricht geweckt…das heißt, jetzt ist es auf jeden Fall früher…Nein, mein Ausschlaftag ist im Eimer…aber warum klingelts jetzt???“

Rasch wurden meine Gedanken unterbrochen als ich eingepackt in Ölzeug auf dem Hauptdeck stand und nach Arbeit suchte, die ich schnell fand. Am Himmel türmten sich grauschwarze Wolkenberge, der Wind ließ die Segel flattern: Böeneinfall.

„Wir bergen das Groß!“, hieß es. Die Gaffel hing lose in der Luft, da der Wind, der das Segel aufblähte kraftvoller als das Gewicht der Gaffel war, hing diese nur noch am Masten fest und kam trotz aufgefiertem Piekfall nicht runter. Mit viel Aufwand und Geduld schafften wir es letztendlich doch und zeiserten das Großsegel auf eine uns KUSis bisher unbekannte Weise: mit Wurfleinen, die wir übers Segel warfen und dann festzogen.

Noch zu Beginn des Manövers hatte die Fahrwache angefangen, die Spitzen zu bergen, also die Segel, die ganz oben und ganz vorne sind. Das sind das Brahmsegel (das oberste Rahsegel), die Topsegel: Großstengestag, Großtop und Besantop und die äußersten Vorsegel: Flieger und Außenklüver. Der Grund für diese Segelmanöver war wie bereits erwähnt der Böeneinfall, der mit dem aufbrausenden Sturm einherging und wo ein Sturm ist, ist viel Seegang, das heißt…Richtig!
Die Seekrankheit besuchte uns wieder. Dennoch fand direkt nach dem Frühstück, welches nach dem frühmorgendlichen Segelmanöver besonders gut schmeckte, wieder Unterricht statt. Es begann mit: „Wer braucht noch Kotztüten? Ok, haben alle, dann können wir ja anfangen.“ Zu erwähnen, dass wir eine Krängung von 30 Grad und Wellen, die übers Deckshaus gingen hatten, sollte ausreichen, um sich vorstellen zu können, wie der Unterricht aussah.

Danach wurden noch die letzten Bewerbungen für die Schiffsübergabe geschrieben, die zwei Tage später beginnen sollte. Noch spät abends fand man KUSis in der Bibliothek, der Messe oder ihren Kojen beim Lernen, denn am Sonntag erwartete uns ein Geschichtstest über die großen Entdecker Humboldt, Kolumbus und Magellan, etwas Geschichte aus Panama und eine Quellenanalyse zum Sozialismus in Kuba.

Zur Erklärung: „All hands on deck“ ist das Signal, bei dem alle, die das Klingeln hören, an Deck kommen sollen um in Fällen wie diesen mitzuhelfen. Wenn die gesamte Besatzung auftauchen soll, klingelt es einmal lang, einmal kurz und wieder lang. Das ist dann Signal K. Das dritte Signal, was wir auf der Thor benutzen, ist der Generalalarm mit sieben Mal kurz, einmal lang. Das ist der Alarm für den Notfall, der immer dann geprobt wird, wenn ein neues Crewmitglied dazukommt.

Alea

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