Es ist Montag, der 23. März 2020. Um 16 Uhr Bordzeit (18 UT) befinden wir uns mit der Thor Heyerdahl auf der Position 36°49’N und 041°43’W. Der Wind weht mit kräftigen 6-7 Bft aus NNW, und wir laufen mit 6,5 kn in Richtung 080°. Und alle an Bord sind wohlauf.
Den letzten Satz wissen mit Sicherheit nicht nur wir an Bord besonders zu schätzen. Die Nachrichten aus Deutschland bekommen wir natürlich mit, und sie beschäftigen uns auch hier. Aber wir sind jetzt seit genau zwölf Tagen unterwegs (oder in Quarantäne, wenn man so möchte) und haben keinerlei Anzeichen von Atemwegserkrankung an Bord. Wir können daher mit großer Sicherheit sagen, dass wir auf der Thor Heyerdahl gesund sind.
Auf den Azoren wird es auch den ursprünglich geplanten Crewwechsel nicht geben. Abgesehen davon, dass die Regionalregierung der Azoren Ankömmlinge vom Festland zunächst einmal für zwei Wochen isolieren würde, möchten auch wir das Risiko einer Infektion vor der letzten Etappe möglichst ausschließen. Andere Personen werden daher nicht an Bord kommen. Entsprechend der geltenden Sicherheitsbestimmungen werden wir auch nicht an der Pier liegen, sondern nach dem Bunkern vor Anker gehen; Landgang oder gar ein Landprogramm wird es nicht geben.
Bis zu den Azoren haben wir allerdings noch etwa eine Woche Fahrt vor uns. Die starken nordöstlichen Winde, die uns in der letzten Woche zu schaffen gemacht haben, werden das noch einige Tage lang tun, bis wir endlich wieder bessere Aussichten haben. Immerhin konnten wir gestern morgen endlich die Maschine stoppen und bis zur Passage einer Kaltfront heute Mittag auslassen. Nach dem Durchgang der Kaltfront fuhren wir eine Halse, und seitdem unterstützt die Maschine wieder, damit wir nicht unter Segeln zu weit südlich der Azoren gedrückt werden. Aller Voraussicht nach werden wir erst zum Ende der Woche hin noch einmal Segelbedingungen haben.
Pünktlich zum Frontdurchgang hielt heute Miriam einen Vortrag über Kaltfronten und Warmfronten in Tiefdruckgebieten. Auch weitere Vorträge sind in dieser Woche vorgesehen: Luna bringt uns das Thema Nachhaltigkeit näher, Merle spricht über den grünen Blitz bei Sonnenuntergang, und Maike wird ihr Referat über Wale halten, wenn wir den Azoren schon näher sind. Außerdem läuft unsere letzte reguläre Unterrichtswoche, in der am Freitag auch noch als letzte Klausur ein Mathematiktest ansteht. Nach den Azoren wird es mit Blick auf die Schule anstelle des Regelunterrichts selbstgesteuertes Lernen geben.
So versuchen wir also, den Bordalltag so normal wie möglich zu halten. Selbstverständlich beginnt uns das Thema der Heimkehr stärker zu beschäftigen, je näher wir Europa kommen und je mehr uns die Nachrichten aus der Heimat dazu nötigen, uns eine Ankunft vorzustellen, die wir uns aus unserer jetzigen Perspektive gar nicht vorstellen können. Kiel allerdings ist noch weit weg – selbst bis Horta auf den Azoren sind es noch 635 sm.
Dr. Martin Goerke, Projektleitung an Bord, und Detlef Soitzek, Kapitän