Die kleinen Momente

Miriam

Datum: 04.04.2020
Mittagsposition: 40°25,9‘ N; 025°10,4’ W
Etmal: 122 sm
Wetter: Lufttemperatur: 16°C, Wassertemperatur: 15°C, Wind: WzN 5-6
Autorin: Miri

Hier auf der Thor Heyerdahl ist das alltägliche Leben an sich schon ganz anders als an Land. Wir schlafen anders, denken anders, bewegen uns anders. Und wir sehen andere Dinge, erleben magische Momente, die auf einen zweiten Blick manchmal schon wieder verschwunden sind.

Kurz nach dem Aufstehen den Sonnenaufgang genießen, das orangefarbene Licht spiegelt sich auf den Wellen. Du spürst, wie die Welt langsam erwacht, und deine Augen sind auf den immer höher steigenden roten Ball geheftet, der nach und nach den ganzen Himmel in warmes Licht taucht. Ein neuer Tag bricht an, und du schaust gerade dabei zu.

Im Ausguck die spritzende Gischt beobachten. Das Sonnenlicht zaubert einen Herzschlag lang unzählige Regenbögen herbei, und du staunst über die Schönheit der Natur. Der Wind pfeift dir um die Ohren, aber deine kuschlige Mütze beschützt dich und du kannst den zauberhaften Tanz von Wind, Wasser und Licht weiter genießen.

Ein Schauer prasselt auf dich herunter. Du ziehst dir die Kapuze deiner Öljacke tief ins Gesicht, ziehst den Kopf ein, verweigerst dem Regen einen Weg unter deine warme Kleidungsschicht. Als der Himmel wieder aufklart, schaust du langsam auf und glitzernde Regentropfen bedecken das ganze Schiff. Du atmest ganz tief ein, die klare Luft ist eine willkommene Erfrischung.

Die Sonne spitzelt hinter den Wolken hervor, ein Regenbogen zieht sich über den ganzen Himmel. Du kannst ihn in seiner ganzen Pracht bestaunen, hier gibt es keine Häuser, die dir die Sicht versperren könnten. Du stellst dir vor, zum goldenen Topf am Ende des Regenbogens zu segeln, und ein leises Lächeln stiehlt sich auf dein Gesicht.

Mit einem dampfenden Teller voll leckerem Essen lehnst du dich an die Nagelbank auf dem Hauptdeck. Der Himmel scheint aus rotorangefarbenen Bändern zu bestehen, die sich über deinem Kopf wölben. Als die Sonne langsam hinter den Horizont sinkt, wagst du es nicht, den Blick abzuwenden, um den richtigen Moment nicht zu verpassen. Da, du siehst das grüne Aufblitzen des letzten Stückchens Sonne, und langsam senkt sich die Dunkelheit wie eine sanfte Decke über das Schiff. Es kehrt Ruhe ein, die emsige Geschäftigkeit aller entspannt sich ein wenig.

Eine Welle schwappt über das Deck. Sie bringt unzählige kleine, leuchtende Pünktchen mit sich, die sich leise verteilen, nur um von der nächsten Welle voller glimmender Planktonteilchen fortgespült zu werden.

Der Bug stampft gleichmäßig in das Meer, das Wasser bricht an den dort hängenden Ankern. Auch hier ist es von den winzigen Pünktchen durchsetzt, sie wirbeln herum, formen einen Moment lang einen Fisch, eine Wolke, nur um gleich wieder weitergezogen zu werden. Du bestaunst dieses Schauspiel, bis du ein lautes Klatschen hörst und rasch deinen Kopf zurückziehst, um nicht vom aufspritzenden Wasser geduscht zu werden.

Ein weißer Vollmond erhellt die Nacht. Du suchst den Himmel nach dir bekannten Sternbildern ab und entdeckst einen seltenen Mondbogen. Wie ein farbloser Regenbogen erstreckt er sich silbrig über deinem Kopf, und du speicherst diesen magischen Moment tief in deinem Herzen.

Auf einem Segelschiff zu leben bedeutet auch, rund um die Uhr beschäftigt zu sein. Doch genau dadurch kann man zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein und diese einzigartigen Momente erleben, die jeder für sich etwas ganz Besonderes sind. Ich liebe diese kleinen Augenblicke, in denen man sich den Wundern der Natur auf eine zauberhafte Weise bewusst wird. Sie sind überall um uns herum versteckt, man muss nur die Augen öffnen, um sie zu entdecken.

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