Autor: Paul
Richtig Wecken will gelernt sein! Keine Tätigkeit auf der Thor ist so sozial anspruchsvoll, kompliziert und gleichzeitig grundlegend und simpel wie das Wecken. Man muss eigentlich nur zu einer Person in die Kammer gehen, sie wach bekommen und ihr sagen, was sie anziehen sollte und wie das Wetter ist. So einfach könnte es sein, doch leider liegen sehr viele Steine auf dem Weg vom Achterdeck bis zur wachen Person. Man muss als erstes alle Namen mit der Uhrzeit, wann sie geweckt werden möchten und die dazugehörigen Betten der Wache ohne die Backschafter und Praktikanten aufschreiben. Dies stellt ein Problem dar, wenn 11 Personen zur gleichen Zeit in bis zu 9 verschiedenen Kammern geweckt werden wollen. Zusätzlich muss man auch noch immer Sicherheitsronde währenddessen machen. Man steht also unter totalem Zeitstress und muss aber, wenn man dann bei der Person am Bett steht, ruhig und freundlich sein, weil ja niemand von einem total gehetzten und gestressten Wecker geweckt werden möchte.
Schnell wecken wird außerdem dadurch erschwert, dass du eigentlich gar nicht reden oder dich gar in deinem raschelnden Ölzeug bewegen darfst, da in der Kammer noch mehr Leute schlafen, die nicht aufwachen sollen. Wenn man dann mit fast schon Ninja-artigen Bewegungen am Bett kniet, muss man den Namen so lange flüstern, bis die Person aufwacht. Falls das nicht klappt, muss man rütteln bis etwas passiert.
Die Reaktionen der frisch Erwachten unterscheiden sich immer. Es geht über KUSis, die bei dem kleinsten Geräusch hochschrecken und sich fast den Kopf an der Decke anschlagen, bis hin zu KUSis, die 5 Minuten brauchen bis sie kapiert haben, dass sie in einer halben Stunde Wache haben und wie die Temperatur ist. Doch eines ist immer gleich: Noch nie meinte jemand, dass er sich freut, geweckt worden zu sein. Das heißt, egal wie viel Mühe du dir gibst, wie viel Zeit und Ruhe du dir nimmst, all dies stößt häufig nicht auf gewünschte Reaktionen, was daran liegt, dass das geweckt werden immer den Anfang einer anstrengenden Wache, die einen am Ausschlafen hindert, bedeutet.
Das führt mich direkt zum nächsten Punkt: Das richtige Wecken lassen.
Hierbei orientiere ich mich beim Schreiben hauptsächlich an Sachen, die mir in der letzten Woche entweder als Wecker oder als zu Weckender passiert sind.
- Es hilft ungemein, wenn man in das Weckbuch einträgt, wo man denn zu finden ist. Das stellt nachts meistens keine Probleme dar, da dann jeder in seinem Bett ist. Bei Tag jedoch kann es schonmal vorkommen, dass man jemanden 10 Minuten lang sucht, bis man ihn dann auf irgendeinem Mast oder in einer Ecke in der Last findet.
- In den Kammern entwickeln sich bei geschlossener Tür hohe Temperaturen und Gerüche mit beunruhigend niedrigem Sauerstoffgehalt. Als Wecker hat man dann schon die Sorge, dass die Personen gar nicht mehr aufwachen. Dementsprechend sorgt eine geöffnete Tür zum einen für Luft um nach dem Aufstehen in Gang zu kommen und der Wecker muss nicht vorher erstmal 5 Minuten lüften, um danach immer noch tief Luft holen zu müssen, um richtig wecken zu können.
- Der Kammerboden! Der Dorn im Auge einer jeden Person, die fast blind in einem Raum herumtapst, in dem sie nicht weiß, ob wie im Optimalfall nichts auf dem Boden liegt oder mehrere Schuhpaare und diverse andere Kleinigkeiten. Es hilft hier nämlich keinem, wenn jemand der leise wecken möchte in eine Kammer kommt, auf einen Gummistiefelhaufen tritt, sich dann mit dem anderen Fuß abstützen will, mit diesem jedoch auf einer kleinen lila Plastikschüssel aufsetzt die unter dem Gewicht und dem Seegang natürlich zur Seite wegrutscht und der Wecker mit viel Getöse plötzlich in einer fremden Koje liegt.
- Ist der Kammerboden frei und der Wecker kommt ohne Sauerstoffmangel bis zur Koje bleibt jetzt nur noch die Reaktion der Geweckten, die den Auftrag entweder erleichtern oder erschweren können. Am besten für beide Partien ist es, wenn der Geweckte wach ist, sich bedankt, aufsteht und zur Wache geht. Das passiert leider nicht so häufig, da die meisten natürlich mitten in der Nacht wieder einschlafen. Nachwecken ist zwar anstrengend, sorgt aber auch dafür, dass die Wachübergabe pünktlich abläuft. Auch das Bedanken ist ein nicht zu unterschätzender Punkt, denn wenn der Wecker immer nur vollgenörgelt und angemeckert wird, will dieser nicht mehr wecken, was aber eine unabdingbare Aufgabe ist. Körperteile oder Bettzeug-Zubehör, das einem ins Gesicht oder in den Bauch geworfen/gerammt werden sind hierbei nicht förderlich! Was einen noch mehr umhauen kann als die Luft hinter geschlossen Türen, ist die Hitze in Schlafsäcken, die sich über die Nacht angestaut hat und beim Herunterreißen des Schlafsackes dem Wecker ins Gesicht rollt.
Die Aufgabe ist dann geglückt, wenn um 5 Minuten vor 05:00 alle auf dem Achterdeck stehen und die Wachübergabe starten kann, ohne dass noch einer auf dem Klo ist oder gar schläft.
Extraschwierigkeit: Das PK*.
Hier gilt es zu beachten als Wecker auf der Treppe ins PK nicht die oberste Stufe zu berühren, da sie lose ist und laut klackert. Quietschende Schuhe werden in diesem schmalen Niedergang durch das Hallen zu einer Lautstärke, die selbst die Maschine oder das Ankerspill übertönen könnte. Wenn der Lüftungswurm auch noch in diesem Gang hängt ist es eine fast unmögliche Aufgabe einen Fuß in den Raum zu setzen ohne jemanden im Voraus zu wecken. Einmal unten angekommen muss man besonders leise sein, da einige aus dem Stamm einen besonders leichten Schlaf haben und sofort aufwachen. Außerdem gibt es hier nicht nur zwei Betten übereinander, sondern drei, was bedeutet, dass man um die oberste Person zu wecken auf das Bett der darunter liegenden Person steigen muss, wenn man nicht beim Hochrufen des Namens das ganze PK wecken möchte.
Um auf das Bett zu steigen zieht man sich natürlich die Schuhe aus, was in der Karibik kein Problem war, da du die Schuhe einfach oben an Deck lassen konntest, doch hier würden sie bei dem Seegang nass und davongeschwemmt werden. Nun musst du auch noch in diesem Raum deine Schuhe an und ausziehen, was verdammt laut ist und eine erneute Gefahr darstellt. Fertig geweckt musst du nun wieder hinaufschleichen und hoffen nicht die lose Stufe zu erwischen und auf den letzten Zentimetern doch noch alle zu wecken.
*auch bekannt als Personalkammer, Personalkämmerlein, Pumakäfig,…