Eine Ode an die Milch

Merle

Datum: Sonntag, 05.04.2020
Mittagsposition: 41° 40,3‘ N; 022° 33,9‘ W
Etmal: 141 sm
Wetter: Luft-/Wassertemperatur: 15°C/14°C, Wind: WNW3-4
Autorin: Merle

„Könnte ich noch einen kleinen Schluck Milch in mein Müsli haben, bitte?“ Die Betonung liegt normalerweise auf ‚klein‘ und auf ‚bitte‘. Das etwas andere Luxusgetränk war bis jetzt an Bord etwas ebenso besonderes und seltenes wie Schokolade oder freie Zeit. In den Kaffee durfte man sich einen kleinen Schluck einschenken – ebenso wurde sie natürlich in Mahlzeiten verarbeitet. Aber die Menge war stets begrenzt und wohl abgemessen. Ganz im Gegensatz zu der Milchsituation, die bei uns herrscht, seit wir bei den Azoren verproviantiert haben!

Neuerdings heißt es bei Milch: all you can drink! – und es handelt sich dabei nicht um dieselbe H-Milch wie bisher, sondern in Kanister abgefüllte Frischmilch. Diese stehen in der Messe herum, neben den altbekannten Wasserbehältern und mit einer Selbstverständlichkeit, an die wir uns nun erst gewöhnen müssen. Einige von uns hatten bereits Schwierigkeiten, die richtige Menge einzuschätzen, und leichte Übelkeits­beschwerden am nächsten Tag. Doch die meisten erfreuen sich immer noch sehr an der besonderen Situation der Unbeschränktheit.

Ich glaube, das ist der eigentliche Punkt, warum wir uns so über die Milch freuen:

Neben der Tatsache, dass Kakaopulver, das mit Wasser angerührt wird, eben nur halb so gut schmeckt, kommt die Freiheit hinzu, mit der wir dieses Lebensmittel genießen können. Die Lebensmittel an Bord sind genau abgemessen und so eingekauft, dass die ganze Mannschaft für die nächste Etappe gutes Essen genießen kann. Die einzelnen Mahlzeiten sind zum Teil bereits vorausgeplant, vor allem aber sind die Mengen, die wir bestellen, gut überlegt, zum einen, weil unser Stauraum begrenzt ist und zum anderen, damit möglichst wenige Lebensmittel schlecht werden.

Somit gibt es gewöhnlicherweise nichts im Überfluss. 5 Monate lang. Und nun, auf einmal… wir können tatsächlich so viel davon trinken, wie wir wollen und können!

Diese Freiheit spüren wir in jedem Glas Milch, sei es zum Frühstück oder während der Wache auf dem Achterdeck. Mit Kakaopulver oder pur, aus dem Thermosbecher oder der Tasse. Momentan ist sie unser ständiger Begleiter.

Natürlich stellt sich die Frage, ob wir es schaffen, alle Milch zu verbrauchen, bevor die Stimmung kippt – in zweierlei Sicht: Entweder die Stimmung der Milch kippt und sie wird sauer oder sie kippt bei der Besatzung, die nicht zwangsläufig sauer wird, aber vielleicht die Freude an ihr verliert. Schließlich ist das Milchpensum für 5 Monate ja auch irgendwann aufgefüllt.

Aber dies liegt noch in weiter Ferne und momentan kann man viele Leute beobachten, die glücklich und mit einem Milchbart im Gesicht vom Kühlschrank kommen.

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