stamm.andre stamm_VeronikaAutoren: Veronika (Bordärztin), André (Wachführer)

Perspektivwechsel
Nach etlichen Schülertagebüchern, gibt es heute mal die ungeschminkte Sicht vom Stamm. Sicherlich hat sich der interessierte Leser auch schon gefragt: Was macht der Stamm eigentlich den ganzen Tag? Machen die vielleicht nichts? Sonnen die sich den ganzen Tag?
Da dem nicht so ist, möchten wir heute die Gelegenheit ergreifen, dieses Vorurteil mal richtig zu stellen! Anders als auch unsere lieben Schüler an Bord denken, haben wir doch das eine oder andere zu tun. Dazu zählt selbstverständlich auch, die Schüler zu ärgern (äh… ok… zu motivieren!).
Nehmen wir als Beispiel die Bordärztin Veronika:
Kaum ist sie um 0700 geweckt und traut sich kurz danach, heimlich auf leisen Sohlen, in die Messe zum Frühstück, ist die Sprechstunde für sie auch schon eröffnet. Hier ein Pflästerchen, da mal Handauflegen bei einem blauen Fleck und dort mal ein kleines Crémchen verteilen.
Nebenbei geht unsere Bordärztin natürlich auch Wache. Während sie im Ausguck steht, an dem einen oder andere Tampen zieht oder mal am (Ruder-)Rad dreht, taucht der nächste Schülerpatient schon neben ihr auf: „Vroniiiii… kannst du mal…?“ Sehr beliebt ist auch: „Vroniiiii… guck mal hier!“ Und schon wird der Tampen gegen den Schlüssel der Bordapotheke getauscht oder das immer griffbereite Kühlpack gezogen.
Auch kurz vorm Schlafengehen oder während des Schlafens, ist unsere Veronika immer, mit ein paar Hustentropen bewaffnet, für alle an Bord da, auch wenn es nur um ein Pflaster für das Kuscheltierchen geht.
Schauen wir uns ein weiteres Beispiel an, den schwerbeschäftigten Wachführer:
Die erste Tasse schwarzen Kaffee (ja, immer noch ohne Milch!) noch nicht ganz in der Hand, hagelt es schon die ersten Fragen: „André, wie ist denn das Wetter draußen?“, “Warum polieren wir eigentlich täglich das Messing, wenn es doch wieder dreckig wird?“ oder „Warum ist rote Beete rot?“ Da unser Wachführer aufgrund von Kaffeemangel noch nicht ganz auf der Höhe der Zeit ist, endet die Frage in einem Schülermonolog.
Nach ausreichendem Frühstück versucht der Leiter der Wache, seine kleinen Schäfchen pünktlich auf dem Achterdeck an Backbord zu versammeln und muss dann täglich aufs Neue nach dem „Wachprinzess´schen“ fragen. Mit viel Begeisterung sind die lieben Kleinen dabei und treten schnell einen Schritt zurück… bis auf einen!
Nun beginnt der anstrengende Teil des Tages: Dass die Schüler jederzeit „am Ball bleiben“, sei es bei einer Wache voller Manöver oder einer dunklen ruhigen Abendwache mit (un-)natürlichem nächtlichen Schlafdrang, ist des Wachführers Hauptaufgabe. Schon bei der Wahl seiner Kleidung, trägt er zum erfolgreichen Verlauf und Wissenszuwachs bei. Denn mit unterschiedlichen Socken (rot und grün) hilft er dem lernfähigen Schüler bei der Frage nach Backbord und Steuerbord unauffällig auf die Sprünge. Nebenbei kümmert er sich aufopferungsvoll darum, dass die Schüler bei Arbeiten auf dem Hauptdeck nicht durch Wellengang unfreiwillig geduscht werden, denn sonst könnte eine Erkältung drohen, die wiederum der Bordärztin vorgestellt werden müsste.
Zu jeder Zeit und Situation muss das engagierte Stammmitglied mit reichlich unerwarteten Fragen rechnen, die nach einer ernsten Antwort verlangen. Hier ein kleines Potpourri: „Wäre ich dir depressiv lieber?“, „André, was meinst du, ist die Bewölkung wirklich 4/8?“, „Warum heißt es eigentlich Rudergänger, wenn der die ganze Zeit steht?“ oder „Sag mal, André, woher kommt eigentlich der Wind?“
Aber auch während der ruhigeren Wachen, ist ein kompetenter Wachführer stark gefordert und kann durch mannigfaltige Möglichkeiten seine Mannschaft bei Laune halten. Dabei kommen deren ungeahnte Fähigkeiten zum Glühen und es entstehen zum Beispiel Gemeinschaftsarbeiten, wie folgende poetische Wachübergabe:

Gute Abend liebe Wache 1,
gesetztes Bramsegel haben wir leider keins.
Dafür Außenklüver und Fock am Baum,
die drei Gaffelsegel geben uns Raum.
Diese sind im zweiten Reff,
denn so wollte es der Chef.
Mars und gereffte Fock an der Rah,
sonst ist kein anderes Segel da.
Einmal ging ich als Sicherheitsrondenknilch
und fand Wasser in der Generatorenraumbilge.
Ansonsten gab es keine großen Sachen,
denn Maschinenronden waren ja nicht zu machen.
Lediglich Ruder und Ausguck waren unsere Pflicht,
Schiffe waren dabei auch keine in Sicht.
Kurs 065 liegt seit Stunden an,
wobei wir drei Knoten fahren.
Auf dem Schiff sind alle Schotten zu,
nun wünscht uns endlich unsere Ruh.
Gibt es sonst noch irgendwelche Fragen,
dann könnt ihr diese jetzt noch sagen.
Und bevor wir nun vom Achterdeck rauschen,
bitten wir euch Ruder und Ausguck auszutauschen.
So und nun ist es vollbracht,
wir wünschen euch eine „GODE WACHT!“

Wie der interessierte Leser wohl nun erkennt, ist der Stamm auf der Thor Heyerdahl mit vielen wichtigen Aufgaben betraut. Allein der Beschäftigung der Schüler ist schon ein Großteil der täglichen Arbeit gewidmet. Die andere Tageshälfte verbringt der Stamm schlafend und sonnend in seiner Hängematte.

Menu