Der „Alltag“ der Schiffsübergabe

michaelDatum: Mittwoch, der 10.12.2014
Mittagsposition: 12°52,2′ N; 060°19,3′ W
Etmal: 121 sm
Wetter: Lufttemperatur: 30° C, Wassertemperatur: 28° C, Wind: SEzE 4
Autor: Michael

„Michael… Michael… Guten Morgen, es ist halb eins und du hast in einer halben Stunde Wache!“ Es klingt wie ein normaler Tag. Ist es aber nicht. Denn es steht kein Kapitän am Hauptdeck, sondern ein Schüler. Man bekommt nicht vom Proviantmeister die Zutaten für die Backschaft, sondern auch von Schülern. Und auch ich gehe nicht als normaler Schüler in die Wache, sondern als Wachführer.
„…Kurs ist 265, wir fahren fünfeinhalb Knoten und gesetzt sind:…“ Bei der Wachübergabe steht mir Lena, Wachführerin der Wache 1, gegenüber und zählt alles Wissenswerte ihrer Wache auf. Dann ist es soweit. Die erste ganze Wache mit mir als Wachführer beginnt. Ich teile die Leute für das Ruder und den Ausguck zu. Danach rede ich mit Bene. Wir sprechen nicht wie sonst beispielsweise über die Geräusche von Deorollern auf dem Teide, ein kleiner Insider, sondern über das Leesegel und wie es besser getrimmt werden könnte. Er erklärt mir auch, dass ich alle zwei Stunden ins Logbuch eintragen muss. Denn er ist nicht mehr nur ein Mitschüler, jetzt ist er unser Kapitän. Wir sollen die Leesegelschoten weiter durchholen und die Schoner-Gei mehr mittschiffs holen. Aber nicht Hennes, ansonsten Wachführer in dieser Zeit, geht mit nach vorne und gibt die Kommandos, sondern ich muss gehen.
Nach der Wache versammeln sich noch einige Schüler in der Messe und nehmen ein kleines Nachtmahl zu sich. Erst jetzt spüre ich, wie die Last der Verantwortung von mir abfällt und ich kann wieder entspannter mit den Anderen rumblödeln.
Für den Vormittag habe ich mich entschieden, „Socialising“ mit der Wache zu machen. Ich ernte zuerst einige irritierte Blicke, doch dann setzen wir uns doch zusammen auf die Ladeluke. Als ich das Spiel, das ich geplant habe, vorstelle, muss ich mir immer wieder selber sagen, dass ich derjenige bin, der das jetzt machen will, und nicht Hennes uns dazu gezwungen hat. Zugegeben, ich nehme es selbst nicht ganz ernst und mache nur Spiele mit Spaßfaktor und nicht Spiele zur Gruppenbildung.
Bei unserer Tagwache muss dann das Großstengestag gesetzt werden. Es dauert viel länger als geplant und es läuft zwischendurch etliches schief; ein paar Wochen auf dem Schiff machen dich eben nicht zu einem Vollprofi im Segeln und ich erinnere mich daran, dass ich nur Schülerwachführer und kein ausgebildeter Segelstamm bin. Dann beruhige ich mich wieder, da mir einfällt, dass für Notfälle immer der echte Stamm hinter einem steht und aufpasst. Trotzdem möchte ich alles so gut wie möglich machen und habe einfach Angst, gravierende Fehler zu machen.
Danach freue ich mich, dass ich für den restlichen Tag Freizeit habe. Leider falsch gedacht: es ist noch Wachführerbesprechung wegen der morgigen Halse. Während ich auf den Backskisten sitze, wird mir langsam mehr und mehr klar, was das eigentlich bedeutet. Ich bin für den Schoner zuständig, ein Gaffelsegel, das ich allerdings noch nie bedient habe. Ich bin nervös und hoffe, dass alles klappt.
Danach habe ich schließlich Zeit für mich. Die opfere ich dafür, den Schatz zu suchen, der auf den Grenadinen geborgen werden soll und für den wir schon die ganze Atlantiküberquerung Hinweise suchen. Es macht Spaß und ich bin wieder Schüler wie jeder andere auch. Dann gehe ich ins Bett. Mit gemischten Gefühlen denke ich an die Halse: Ich bin gespannt und freue mich auch darauf, allerdings bin ich auch ziemlich nervös. Als ich die Augen schließe, sehe ich nur noch Segel vor mir. Ein anstrengender, aber echt toller und auch lustiger Tag liegt hinter mir. Und jetzt weiß ich, dass Wachführer doch etwas zu tun haben und sich nicht nur die ganze Wache auf den Backskisten entspannen.

Menu