Die Thor in unseren Händen

schueler.marlenaDatum: Samstag, der 12.12.2015
Mittagsposition: 12° 53,6′ N; 059° 38,8′ W
Etmal: 115 sm
Wetter: Lufttemperatur: 29° C, Wassertemperatur: 28,5°C, Wind: EzN 4
Autorin: Marlena

„Marlena, aufstehen! Es ist 05:45 Uhr. Entweder du darfst was reparieren oder vielleicht auch einfach nur den Generator einschalten.“ Mit dieser wundervollen Ansage wurde ich heute Morgen von Moritz geweckt, worauf er erstmal ein Kissen ins Gesicht bekam. Zum Glück blieb es nur bei der letzteren Aufgabe. Gestern wurde das Schiff uns Schülern übergeben und da darf ich eben in aller Frühe etwas verschlafen in die Last schlurfen und den Generator und die Osmoseanlage anschmeißen. Einmal schnell nach draußen gehuscht, um frische Luft zu schnappen, sehe ich plötzlich eine Reihe von Lichtern an Steuerbord querab – Barbados leuchtete im Dunkeln. Nach der ersten Freude über das „Land in Sicht“ verkroch ich mich doch nochmal in meine Koje, um noch ein bisschen wertvollen Schlaf zu bekommen.

„Guten Morgen Marlena, wir haben kurz nach halb 8 und fahren in 30 Minuten eine Halse“, höre ich knapp 1 ½ Stunden später wieder. Was, wie, jetzt? Wurde die gestern nicht von dem Kapitän und den Steuermännern für 11:00 Uhr angesetzt? Die Chance nachzufragen blieb mir nicht, da der Wecker schon wieder verschwunden war, also schwang ich die Hufe, kramte ziellos in meinem Fach nach einem Shirt und Shorts und sprintete ins Bad zum Zähneputzen. Beim Frühstück, welches im Stehen stattfand und aufgrund der sehr begrenzten Zeit nur das Herunterschlingen – ja Mami, ich weiß, dass zu schnelles Essen ungesund ist – eines Obstsalates, Joghurt und Müsli war, erfuhr ich nun auch endlich, warum die Halse früher als geplant stattfinden sollte. Wir waren nachts unglaublich schnell unterwegs und mit dem Passieren von Barbados war somit auch die richtige Position zur Richtungsänderung erreicht. Als wachloses Stammmitglied gesellte ich mich bei Signal „K“ zu Wache vier, die mit dem geborgenen Besansegel keine Aufgabe hatte und sich um die Brassen kümmerten. Als Erstes bekam der Wachführer Julius seine Geburtstagsumarmung, später machten wir uns daran, mit den Brassen die Rahsegel in die richtige Richtung einzustellen und nach knapp einer Stunde beendete unser Schülerkapitän Fabian mit den Worten „Wir sind auf Kurs!“ die zweite Schülerhalse der Reise. Nach einer kurzen Nachbesprechung der Halse innerhalb des Schülerstamms hatte ich endlich Zeit für die wirklich wichtigen Dinge: Ruderkasten schmieren, eintragen einiger Daten bezüglich des Dieselöls und Frischwassersbestands und zu guter Letzt natürlich den Generator für seine wohlverdiente Mittagspause wieder ausschalten.

Nach dem Mittagessen folgte eine Präsentation, in welcher Fabian und unsere beiden Projektleiter Linn und Bene erläuterten, wie die Planung des laufenden und des morgigen Tages aussehen würde. Plötzlich sah ich in lauter strahlende Gesichter, als es hieß, dass wir morgen um diese Uhrzeit schon vor Anker an der Westseite von Palm Island sein sollten. Danach erzählte uns Frank noch etwas über das Müllprojekt, welches wir in Kooperation mit der Uni Kiel betreiben und mit einer Müllsammelaktion an einem Strand bald in die nächste Runde gehen soll. Nach dem herrlichen Schoko-Bananen-Kuchen – ja, Essen spielt immer noch eine große Rolle bei uns – sowie einem „Viel Glück und viel Segen“ zu Julius‘ Geburtstag gab es für alle viel zu tun. Die einen brüteten mit rauchenden Köpfen über dem Kammerbelegungs-, Wach,- und Backschaftsplan für die nächste Etappe, während die anderen schon erste Segel geborgen hatten und fleißig am Packen waren, vorsorglich für das am nächsten Tag folgende Großreinschiff ihre Kammern klar machten und den Pool abbauten. Vor dem Abendessen gab es noch ein „Stanzl“ für Julius auf Bayrisch, was zu einigen verwirrten Gesichtern unter unserern „Nordlichtern“ führte, aber definitiv für allgemeine Erheiterung sorgte.
Meine Portion Hühnchen-Paprika-Geschnetzeltes mit Reis musste ich aufgrund von Zeitdruck mal wieder etwas zu schnell essen. Danach machte ich mich auf den Weg, um „Olga“, unsere Hauptmaschine für den angeordneten Start klar zu machen. Der Anblick, der sich mir bot, als ich wieder aus dem Maschinenraum kam, brachte mich zum Lächeln. Wie bei allen All-Hands-Manövern war es unglaublich schön mit anzusehen, wie die aufgedrehten KUSis auf dem Schiff herumwuselten, Sonnensegel abbauten, Bäume mittschiffs holten und Segel bargen. Die Schülerwachführer gaben Kommandos, alle arbeiteten Hand in Hand, jeder half wo er oder sie konnte und all das zeigte einfach, was für ein gutes Team wir inzwischen sind. Knapp zwei Monate und eine Atlantiküberquerung haben wir nun hinter uns und es steht noch so vieles bevor, worauf wir uns freuen und gespannt sind. Für morgen ist erst mal um 06:45 das Ankermanöver geplant und sowohl Schüler als auch Stamm freuen sich darauf den Abend unsere Ankunft in der neuen Welt gebührend zu feiern.
Maria-Teresa, alles alles Liebe zum Geburtstag, ich hoffe, du hast deinen Tag genossen! Fühl dich ganz fest gedrückt, deine Marlena!

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