Ein typisch thor’scher Geburtstag

schueler.lara.docxDatum: Samstag, der 12.03.2015
Mittagsposition: 34° 29,9′ N; 056° 24,8′ W
Etmal: 134 sm
Wetter: Lufttemperatur: 17,5° C, Wassertemperatur: 19,5°C, Wind: NNW 5-6
Autorin: Lara

Mit eisigen Fingern klammere ich mich an das Ruder. Der Wind zerzaust meine salzigen Locken und der Regen peitscht in mein Gesicht, trommelt auf das Deck und durchnässt mein Ölzeug. Ich spüre jede Bewegung des Schiffes, wie es von den meterhohen Wellen von Backbord nach Steuerbord geworfen wird. Auf einmal ertönt Rajas Stimme auf dem Achterdeck: „Fünf – vier – drei – zwei – eins – Alles Gute zum Geburtstag, Lara!“ Schon hat sich meine komplette Wache um das Ruder versammelt und versucht nun mit einem Geburtstagsständchen den tosenden Wind zu übertönen. Während sie allesamt in roter Ölkleidung um mich herum stehen und durch den Kompass beleuchtet werden, könnte man meinen, dass sie Teil einer Sekte sind. Ich kann nicht anders als lachen. Schon purzeln die Worte aus meinem Mund: „Dankeschön ihr Lieben, aber wisst ihr denn nicht, dass man den Rudergänger nicht ablenken soll?“
Wie lange habe ich davon geträumt, sechszehn zu werden? Bereits in der Grundschule habe ich ausgerechnet, an welchem Wochentag ich wohl das Alter meiner liebsten Buchcharaktere erreichen würde, um mir eine Art zu überlegen dieses denkwürdige Ereignis zu feiern. Nun denn, da hat der Thoralltag meiner Partyplanung wohl einen gewaltigen Strich durch die Rechnung gemacht. Mein erster Gedanke, als ich an diesem Morgen die Augen aufschlug war also nicht, wie anders es sich doch mit sechzehn Jahren anfühlt (Mal ehrlich, ich bin genauso kindisch und verrückt wie vorher), sondern ich freute mich darüber, die erste Sturmnacht auf dem Nordatlantik überstanden zu haben. Dennoch, das Geburtstagsbriefelesen ließ ich mir nicht entgehen. Schließlich hingen diese schon seit Kuba an meiner Wäscheleine in der Koje und warteten nur darauf, geöffnet zu werden.
Schließlich lockte mich der süßliche Duft eines Thor-Frühstücks und das typische Geklapper von Geschirr aus meiner Kammer. Kaum hatte ich die Messe betreten, fiel die Meute auch schon über mich her. Nach der ersten Aufregung fielen dann allerdings alle in den üblichen Samstag-auf-der-Thor-Alltagstrott zurück. Ich half der Backschaft Brokkoli zu schneiden, diskutierte während des Projektetreffens über unser Endprodukt, streifte mir meinen Gurt über für die Fahrwache und bewaffnete mich schließlich mit einem grünen Eimer für das bevorstehende Großreinschiff. Nur eins war währenddessen außergewöhnlich. Außergewöhnlich stinkig. Ich merke nur an: „Süßer die Glocken nie stinkeeen, als zu Verschlusszustandszeit!“ Denn aus Gründen der Sicherheit haben wir sämtliche Schotts verschlossen und Oberlichter sowie Bulleyes mit Schlagklappen vor Wellenbrechern sicher isoliert. Diese Isolation funktioniert leider in beide Richtungen.
Meine Oma würde in solchen Situationen sagen: „Dahinten kommt’s heller.“ Und so war es auch mit unserem Reinschiff. Denn jedes noch so anstrengende Großreinschiff in der Last wird am Ende mit einem gemütlichen Besanschot-an gefeiert. An diesem Tag zelebrierten wir mit unserem heißen Kakao aber nicht nur Neptun, sondern auch Natalies und meinen Geburtstag. Ja, ich habe zusammen mit meiner Spanischlehrerin meinen Geburtstag gefeiert. Und während ihr Ständchen, das von den Thorwürmern extra geschrieben wurde, in allen möglichen Sprachen gesungen wurde (unter anderem polnisch, französisch, spanisch und natürlich deutsch mit schlecht imitierten russischen Akzent), hatten meine lieben Mädels „Price Tag“ umgedichtet: „Wo ist denn dein Kuchen, Kuchen, Kuchen? Los geh ihn mal suchen, suchen, suchen. We just wanna make the Thor dance, and think about your birthday!“ Dabei brauchte ich den Kuchen gar nicht mehr suchen, denn er stand bereits hübsch mit weißer Schokoglasur und Zuckerperlen verziert auf der Mittelinsel in der Messe.
So kam ich doch noch dazu, meinen sechzehnten Geburtstag auf eine ganz besondere Art und Weise zu feiern, denn wer kann schon von sich behaupten, mitten auf dem Nordatlantik seinen Karottenkuchen verspeist zu haben und sich über ein Geburtstagsgeschenk zu freuen, das in eine Seekarte eingepackt wurde?

Dieser Tagebucheintrag ist für alle Geburtstagskinder zuhause, bei deren Geburtstagen wir KUSis leider nur in Gedanken dabei sein können (Ganz besonders für dich Hanna, meine liebste Schwester!) und für all die zukünftigen KUSis, die das Glück haben werden einen Geburtstag auf See genießen zu können.

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