Der Kreis schließt sich

schueler.alenaDatum: Freitag, der 08.04.2016
Mittagsposition: 48° 59,2′ N; 007° 18,4′ W
Etmal: 135 sm
Wetter: Lufttemperatur: 9,5° C, Wassertemperatur: 11°C, Wind: ESE5
Autorin: Alena

Es ist 0 Uhr. Wache 1 hat Fahrwache. Einer steht am Ruder, zwei im Ausguck und einer steht gerade in der Navi und schreibt genau jetzt die Koordinaten von der elektronischen Seekarte ins Brückenbuch ab, um dann unsere 00 Uhr Position in die Seekarte einzuzeichnen.
„Wir steuern den Kurs 055, naja, eigentlich, neutrale Ruderlage ist so ungefähr 10 Grad Steuerbord“, „Kurs 055 steuern“, „Genau, viel Spaß!“
„Hey, ich löse dich ab. Gibt es irgendetwas Besonderes zu sehen außer…“, „Wasser“.
„Svenja, bist du das? Ah, perfekt, ich habe das Ruder bei 055 übergeben.“, „Ok, danke.“
Wache gehen ist für uns schon längst zum Alltag geworden: Ruder, Ausguck, Sicherheitsronde, Maschinenronde, Wetter und Position. Das Meer, Wellen und der endlose Blick und bei Nacht der klare Sternenhimmel mit Orion, der seit Kiel fast immer zu sehen ist, solange es nicht bewölkt ist. Heute Nacht ist es kalt, es hat nur 10 Grad. Mit den Worten: „Alena, du hast in einer halben Stunde Wache. Es ist verdammt kalt, zieh dir alles an, was du hast. Ach ja, und du hast Glück, die Gurtpflicht wurde aufgehoben.“ wurde ich zur Wache geweckt. Einen Gurt hätte ich wahrscheinlich nur schwer über meine fünf Schichten Klamotten angezogen bekommen. Trotz allem ist mir kalt. Ich verkrieche mich in meiner Öljacke, sodass nur noch meine Augen raus schauen. Ach was waren das noch Zeiten, als wir in T-Shirt und kurzer Hose Nachtwachen gehen konnten. Die Karibik, das ist schon wieder so weit weg, aber trotzdem kommt es mir so vor, als wären noch vor wenigen Tagen bei den Tobago Cays im Riff geschnorchelt. Seitdem waren wir in Panama, Kuba, Bermuda und auf den Azoren. Wahnsinn, was wir in der Zeit erlebt haben! Und jetzt sind wir wieder hier, kurz vor Falmouth. In weniger als zwei Tagen werden wir an der Mooringtonne Caldy festmachen, an der wir bereits vor fünf Monaten und einer Woche unsere Festmacherleinen befestigen. Und an diesem Punkt wird sich der Kreis schließen. Nun sind wir um unzählige Erfahrungen, Erlebnisse und Erinnerungen reicher. Ob es die Riffferien an den Tobago Cays, die Wanderungen durch den Regenwald in Panama, die Zeit in Pinar del Rio an der Friedrich-Engels-Schule, Schiffsübergaben, der Sturm auf dem Nordtlantik, die Picobesteigung auf den Azoren, Singabende in der Messe…, aber auch die Seekrankheit, Heimweh, stressige Backschaften oder Schultage und Kotzen in Kuba…sind, all dies gehört zu unserer Reise.
Was damals noch alles vor uns lag! Wir hatten ja keine Ahnung. Klar, hat sich in der Zeit jeder von uns verändert, manche mehr und manche weniger. Da fällt mir einmal auf, wie wenig wir uns damals noch kannten. Dadurch, dass man hier nie alleine ist und in fast jeder Situation jemand bei einem ist, haben sich ganz besondere Beziehungen entwickelt. Als Gruppe sind wir eng zu unserer Thorfamilie zusammengewachsen. Genauso wenig, wie ich mir noch vor sechs Monaten vorstellen konnte, ein halbes Jahr ohne meine Familie und Freunde auszukommen, kann ich mir jetzt nicht vorstellen, ohne die Thorfamilie, die Thor und das Meer aus zu kommen. So langsam kommen wir Kiel, das immer in so weiter Entfernung lag, immer näher. Das ist genauso wenig zu realisieren, wie zu wissen, dass wir den Atlantik schon zweimal überquert haben. Momentan stehe ich in Gedanken oft zwischen dem Ganzen hier, der vergangenen Zeit, dem Einlaufen und dem nach Hause kommen. In manchen Situationen frage ich mich, ob das wohl das letzte Mal ist, dass ich dieses oder jenes auf der Reise mache…
Liebe Omi, ich hoffe, dir geht es wieder besser! Ich habe dich lieb und freue mich schon sehr, dich bald wieder zu sehen!

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