Ein ganz normaler Thortag?

Miriam

Datum: 04.03.2020
Mittagsposition: 31°57,4‘N 066°02,4‘W
Etmal: 143 sm
Wetter: Lufttemperatur: 20°C, Wassertemperatur: 20°C, Wind: SW 5
Autorin: Miri

Eine vorsichtige Stimme weckte mich frühmorgens. „Du hast bald Wache“, wurde mir mitgeteilt, und schon war ich wieder allein in meiner kuschelig warmen Koje. Müde lauschte ich noch eine Weile dem Rauschen der Wellen und dem Wummsen der durch den doch etwas stärkeren Wellengang hin- und hergeworfenen Gegenstände, und irgendwann setzte ich mich doch auf. Meine blaue mit Delfinen gemusterte Bettdecke raschelte, und ich zog mich langsam um. Da es sehr kalt war, beschloss ich, die Skiunterwäsche sowie zwei flauschige Jacken zusätzlich zum normalen Pulli unters Ölzeug anzuziehen. Doch erstmal ging es ohne Ölzeug (das in der Messe verboten war, um einem Feuchtigkeitsproblem in Form von Schimmel in dem am meisten verwendeten Raum vorzubeugen) zum Frühstück, und auf dem Weg dorthin – durch den schwankenden Gang – wurde ich wie ein Ping-Pong-Ball von Wand zu Wand geworfen. Auch das Sitzen auf den hölzernen Messebänken war eine einzige Rutschpartie, doch wenigstens war das Geschirr nicht so „bewegt“ wie wir, da die Tische mit Rutschdecken ausgelegt waren. So konnte der Tag also schwungvoll beginnen.

Nachdem sich die ganze Wache an den üblichen zwei Löffeln Cornflakes/Müsli/Joghurt, einem Schluck Milch, Orangensaft und Brot mit süßem Marmeladen- oder Honigaufstrich gelabt hatte und festgestellt wurde, dass O-Saft und Milch beide nicht mehr ganz so gut waren wie gedacht – vermutlich hatten sie den Weg in den Kühlschrank nicht gefunden – , schnappte ich mir mein Ölzeug und stieg den Niedergang hoch, der mir in der ersten Zeit auf der Thor noch sehr steil vorgekommen war und ich mir wie viele andere oft die Schienbeine oder Waden an den rauen Kanten aufgeschürft hatte. Doch nun kannte ich ihn erstens besser, und war zweitens von meiner Ölzeughose geschützt, die noch einen weiteren Vorteil hatte: sie bewahrt mich davor, wegen der Welle, die mich am Ausstieg empfing, noch mehr seewassergetränkte Kleidung zum Trocknen in die Last bringen zu müssen. Die drei Wachstunden gingen schnell vorbei, denn es gab noch mehr zu tun als sonst. Zusätzlich zu bei-30-Grad-Krängung-am-Ruder-stehen (Krängung=Schiffsschräglage) und zur-Sicherheitsrunde-versuchen-trocken-unter-und-an-Deck-zu-gelangen kam noch für-Relingslogge-Biomüll-über-Bord-werfen-und-Zeit-stoppen dazu, da in der gerade laufenden Schiffsübergabe alle elektronischen Geräte unzugänglich gemacht wurden – und damit auch die Geschwindigkeitsangabe.

Kaum war die Wache übergeben und wir in die Messe hinabgestiegen, duftete es bereits lecker aus der Kombüse: die heutige Backschaft war gerade dabei, Franzbrötchen mit Zimt bzw. Schokolade zuzubereiten, die es dann nachmittags zu Kaffee und Lottoauflösung geben sollte. Jeder hatte einen Zettel abgegeben, auf den er/sie die sogenannte Besteckversetzung aufgeschrieben hatte, also wie weit und in welcher Richtung der mit Astronavigation ermittelte Ort vom tatsächlichen GPS-Ort entfernt war, und heute sollte das GPS wieder angeschaltet und der Gewinner unseres Lottos gekürt werden. Aber erstmal gab es Mittagessen mit einem tollen Kartoffelsalat nach dem Rezept von Fees Oma, und danach flog die Zeit regelrecht vorbei. Neben dem Ausfüllen verschiedener Einreiseformulare für die Bermudas oder einiger Listen für die nächste Schuletappe in der mit fröhlichem Geplapper gefüllten Messe wurde trotz des starken Seegangs Brot gebacken, und früher oder später musste einfach ein Unglück passieren: ein 10-Liter-Behälter voller Wasser für den Teig wurde wegen einer besonders starken Dünung vom Tisch geschleudert und sein Inhalt ergoss sich quer über den Boden, spritzte auf Wände, Bilder und Laptops und schwappte um unsere Füße herum – um dann sofort panisch aufgewischt zu werden, um das Auslösen des Bilgenalarms zu vermeiden =) Den ganzen Laptops und Formularen ist zum Glück nichts passiert.

Kaum war diese Aufregung vorbei, ging schon die Essensglocke herum und kündigte den lang ersehnten Kaffee an. Einen Augenblick später hatten sich alle Besatzungsmitglieder außer der Fahrwache um Detlef und die Schülerschiffsleitung geschart, erwarteten die Auswertung, und die Spannung stieg im selben Maße wie der CO²-Gehalt der Messeluft. Das Ergebnis: der Astronaviort befindet sich um 169° und 7 Seemeilen versetzt zum GPS-Ort (der Mittagsort war noch um 2 Seemeilen genau), und Kathi gewann den supertollen, extra aus Deutschland eingeflogenen Preis! Die Masse strömte aufs Achterdeck, genoss die nun wieder frische Luft sowie leckere Schoko-/Zimtfranzbrötchen und verschwand gleich wieder, weshalb die Fahrwache Personalmangel beim Großsegelbergen hatte und auf noch anwesende, langsame Brötchenesser wie mich zurückgriffen.

Wegen dieses Segelmanövers verschob sich auch Pauls Referat zum Thema „Rost“ um 45 Minuten, und damit auch die Abendessenszeit, aber es erschien dennoch die Hälfte unpünktlich zum Abendessen. Ein paar Ansagen später konnten wir dann doch alle zusammen Wraps essen und anschließend so schnell wie möglich in unsere Koje kriechen, denn morgen zum Einlaufen in die Bermudas müssen wir alle früh raus. Und so kehrte ich nach einem langen, ereignisreichen Tag, der erste seit 4 Tagen ohne unfreiwillige Seewasserdusche, in meine gemütliche Koje zurück und versuchte, trotz des Seegangs, der mich gestern Nacht schon auf den Boden katapultiert hat, einen ruhigen und erholsamen Schlaf zu finden.

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