Alltag auf der Thor

Freya

Datum: 21.03.2020
Mittagsposition: 35° 21,4´ N, 045° 58,5´ W
Etmal: 44 sm
Autor: Freya

Ein Punkt mitten auf dem Atlantik, in alle Richtungen, für tausende Kilometer nur Meer. Die Thor.
Ist dies eine völlige Freiheit – oder doch das komplette Gegenteil? Sind wir „Frei wie der Wind?“ – oder von ihm eigentlich nur genauso abhängig wie von unserer Hauptmaschine? Ist der Weg das Ziel – oder fahren wir doch eigentlich nur zurück in unsere Heimat?

19.03.2020

Für Unterrichtsgruppe B, also auch mich, war heute ein ganz normaler Schultag, abgesehen davon, dass das Schiff ziemlich stark schwankte. Schon in der Nacht hätte mich der Wellengang drei Mal fast aus meiner Koje katapultiert (was allerdings kein Weltuntergang gewesen wäre, da sie sich nur ca. einen halben Meter über dem Boden befindet). Schließlich hatte ich die ultimative Technik gefunden: Ich keilte mich kurzerhand im Kopfteil meines Bettes ein. Irgendwie hat es schon eine gewisse Ironie, dass wir nun zusammen mit „High Seas High School“ so ziemlich die letzte deutsche Schule sind, die noch Unterricht hat. Ansonsten gestaltete der Unterricht sich ein bisschen lustig, da immer wieder gewaltige Wellenberge unser Schiff zum Schwanken brachten, regelmäßig flogen deshalb Schulsachen über die Tische. Wenn wir Schüler ebenso ins Rutschen gerieten, wurden diejenigen, die am äußeren Rand unserer sowieso schon voll besetzten Bänke saßen, meistens unbeabsichtigt von der Bank geboxt. Viele kapitulierten schließlich und blieben gleich auf dem Boden sitzen, was gerade für die Seekranken ein Vorteil war, da diese sich jetzt schneller zum Niedergang durcharbeiten konnten, um an die frische Luft zu gelangen. Gegen Mittag hielt Nico dann noch einen Vortrag über Dieselmotoren, der bei mir und vielen Anderen ein Licht aufgehen ließ, da wir nun endlich verstanden, was für seltsame Hebel und Kolben wir denn da jedes Mal in der Maschine ölen.

20.03.2020

Heute hatte ich Praktikum bei Vanessa, unserer Proviantmeisterin.

„Vanessaaaaaaaaaa…?“ Könnten wir vielleicht noch ein bisschen Honig bekommen? Und noch etwas Sahne? Und evtl. noch ein paar mehr…?

So oder ähnlich beginnt meistens der Tag eines Proviantmeisters. Und da ich für drei Tage hier ein Praktikum hatte, startete meiner um 8:00 Uhr mit einem Weg zur Backschaft, um ihnen unter anderem Zutaten für das Mittagessen rauszusuchen. Mein Weg führte mich von der Kühllast und der Trockenlast bis hin zu den allseits beliebten Unterkojen, um dort Zutaten für die Kombüse zu besorgen. Allerdings hatten so einige das Prinzip von Ordnung noch nicht so ganz verstanden, sodass wir erst mal Berge von Klamotten, Handtaschen, Rucksäcken und anderen Kram von den Kojen abräumen mussten. Sehr amüsant war es, als wir auf einmal unser Kujambelfass*, einen riesigen, orangefarbenen Getränkebehälter in einem Bett entdeckten – warum auch immer bleibt wohl ein Geheimnis. Außerdem mussten noch die Kühllast geputzt, ein paar Kartoffeln aussortiert werden, eine Obstkiste zusammengestellt und noch einiges mehr…

Beim Mittagessen hatten wir noch eine Besprechung mit der morgigen Backschaft, in der geklärt wurde, was es für Essen es am nächsten Tag geben würde. So in etwa ging der Tag zur Neige.

*Als Kujambel oder Kujambelwasser werden auf deutschen Seeschiffen verdünnte Limonade oder der klassische Hagebuttentee bzw. ein Mischgetränk aus Limonadensirup, Wasser und Eis bezeichnet. Dieser Kujambel wird am Morgen angerührt und in einem großen Thermobehälter mit Zapfhahn der Besatzung in warmen Gegenden an einem zentralen Punkt des Schiffes zur Verfügung gestellt.

PS: Liebe Tamina, ich wünsche dir alles alles Gute zu Deinem Geburtstag! Ich denke ganz fest an dich und euch und hoffe, dass es euch soweit gut geht. Fühl dich gedrückt! Deine Vanessa

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